Gender in der Mode

Hausarbeit im Seminar Soziologie der Geschlechter bei Prof. Christiane Funken, WiSe 2017/18, TU Berlin

Kuriositätenkabinett oder Vorreiter und Spiegel eines gesellschaftlichen Wandels?

„Nirgends umarmen sich Toleranz und Intoleranz so wie in der Modewelt. Ausgerechnet die Branche, die so viele Menschen ausschließt, weil sie zu dick, zu klein, zu hässlich sind, schafft immer wieder Platz für die Vielfalt – der Hautfarben, der sexuellen Vorlieben, der Geschlechter-Identität.” (Zerwes 2017) In dieser Arbeit soll geprüft werden, was derzeit häufig in internationalen Medien diskutiert wird. Ist die Mode im Begriff die klassischen Genderrollen aufzulösen? Zeitschriften und Magazine feiern den Mut der Designer und Labels Transsexuelle und transgender Modells auf die Laufstege zu schicken. Die Zeit lobt die revolutionären Ansätze zur Aufhebung von Gender und die Internet-Plattform „Business Of Fashion“ organisiert Podiumsdiskussionen zum Thema. Doch wie gesellschaftsrelevant ist eine Neuorganisation der Schönheitsideale auf den Laufstegen? In einem ersten Schritt soll der Begriff Mode deutlicher umgrenzt werden. Da es sich um einen sehr breiten Begriff handelt ist eine Einschränkung und Einteilung durchaus notwendig, bevor sich eine weitere Betrachtung der Fragestellung lohnt. Danach soll betrachtet werden, auf welche Arten die klassische Aufteilung des Geschlechts in der Modeindustrie durchbrochen werden kann, mit welchen Mitteln dies erreicht wird und welche Folgen das im gesellschaftlichen Bild hinterlässt.

Das vollständige Paper ist hier zu lesen:

Mode und Gender_HA_Fleischer_337577

Zitiervorschlag:
Fleischer, Johanna (2018): Mode und Gender. Kuriositätenkabinett oder Vorreiter und Spiegel eines gesellschaftlichen Wandels? Hausarbeit im Seminar Soziologie der Geschlechter. Funken, Christiane, Technische Universität Berlin.

Der Mann im Anzug

Auszug aus der Bachelorarbeit von Johanna Fleischer zur Erlangung des Titels Bachelor of Arts im Fach Soziologie, betreut durch Prof. Martina Löw an der TU Berlin

Ein blinder Fleck der Modetheorie

Ist der Anzug eine Mode oder eine Tracht? Dieser Frage gehe ich in meiner BA-Arbeit nach. Seit der Einführung des Utility-Suits nach dem Zweiten Weltkrieg, scheint sich zumindest die Herstellungsweise und Schnittführung einigermaßen bewahrt zu haben; mit Ausnahmen von Proportionsverschiebungen, wie der Breite und Länge des Revers oder des Materials. Mit dem Aufkommen von jungen Designern und Schneidern ab den 1970er Jahren werden die strengen Vorlagen wiederum aufgeweicht. Andere Designer brechen vollständig mit den Traditionen, vor allem die aus anderen Kulturkreisen, wie die Japaner Yohji Yamamoto oder Rei Kawakubo. Aber auch britische Designer wie Vivienne Westwood haben den Anzug schon öfter dekonstruiert. Eine schleichende Dekonstruktion vollzieht sich auch im alltäglichen Anzug, wo das Jackett nun auch zur Jeans getragen wird.

In meiner Bachelorarbeit kann ich zeigen, dass die bisherigen Theorien über Kleidung und Mode zu engführend sind. Daher werden wichtige Aspekte übersehen. Ganze Jahrzehnte der Kleidungshistorie werden einfach ausgeblendet. Erstens sorgt die fortschreitende Rationalisierung der Welt dafür, dass ganze Stile als funktional-ästhetisch verstanden werden und damit als außerhalb der Mode stehend. Die Mode wird dagegen als irrational beschrieben und stünde somit im Gegensatz zu allem, was rational erklärbar ist. Zweitens wird die Mode oft als ein weibliches Phänomen betrachtet. Die Moden der Frauen dominieren die Fallbeispiele der Theoretiker, auch der Markt und die Hersteller verfolgen diese Hervorhebung. Der Mann tritt neben dem Überangebot für Damen fast vollständig in den Hintergrund. Das patriarchale Weltbild zeigt sich in diesen Theorien als stummes Ignorieren der Tatsachen. Das männliche Geschlecht kann ohne verurteilt zu werden walten, während die Frau stets alle Augen auf sich zieht. Drittens hat die Modetheorie oft keinen definierten Begriff ihres eigenen Gegenstandes. Kleidung wird mal Mode genannt, wenn sie durch einen Wandel gekennzeichnet ist und ein anderes Mal, wenn sie sich verstetigt. Wenn sie sich nicht verändert, dann wird sie oft auch nicht als Mode sondern als Tracht bezeichnet. Gern rückt man die auffälligsten und verrücktesten Kleidungen ins gesellschaftliche Bewusstsein, ohne dabei zu kritisieren, dass diese weder Verbreitung erfahren, noch dass sie sich längerfristig durchsetzen. So werden Haute Couture, Kunst, Pret-a-Porter und Massenware bunt zusammengewürfelt und je nach Argument wird dasjenige aus der Bekleidungsindustrie hergenommen, welches am besten passt. Als vierter Punkt ist ergänzend zu kritisieren, dass der Körper oft aus den Augen gelassen wird. Und fünftens wird die Alltagskleidung so sehr von Werbung und dem Markt überdeckt, dass die tatsächliche Kleidung, die man auf den Straßen findet, kaum in den Überlegungen vertreten ist.
Um dem Problem des Begriffs Mode beizukommen verwende ich den habituellen Modebegriff der beschreibt wie Kleidung getragen wird, nicht wie sie sich medial verbreitet. Mit dem habituellen Modebegriff, lassen sich Kleidungen und Kleidungskombinationen differenzierter betrachten. Die industriellen Moden stehen außerhalb dieser Definition, können aber Einfluss nehmen und fallen so auch nicht gänzlich aus der Betrachtung heraus. Um also die Frage dieser Arbeit zu beantworten: Der Anzug kann nach dieser Definition als Mode beschrieben und mit den Modellen der Modetheorie analysiert werden.

Der_Anzug

Meine Analyse zeigt: Mit dem Anzug ist es gelungen ein Kleidungsensemble in einer verbindlichen Form zu fixieren, die gerade durch die Fixierung ihre modische Ausdrucksform findet. Die Fixierung bezieht sich sowohl auf die Stabilität des Schnitts durch seine Komplexität, als auch auf die Relevanz ihrer sozialen Bedeutung. In kaum einer anderen Mode ist es so wichtig wie beim Anzug einen Konsens herzustellen. Ist keine einheitliche Form gegeben, muss der Anzug schließlich als dem ausgesprochenen Ziel nicht zuträglich gewertet werden und wird damit als Anzug negiert. Hier stellt sich der Anzug deutlich gegen andere Konzepte die sich durch eine Überbetonung der Mode als Wandel legitimieren.

Nach meinen Überlegungen ist mir klargeworden, dass eine Modetheorie, die versucht die Mode als ein ganzes Phänomen zu verstehen und zu erklären, scheitern muss. Stattdessen ist es sehr viel aufschlussreicher einzelne Institutionen einer habituell verbreiteten Mode zu untersuchen. Auch die industriellen Moden bieten sicherlich interessante Erkenntnisse. Es scheint aber wichtig, vereinzelte Artefakte zu fokussieren, ihre vestimentären Codes, oder Mentefakte herauszustellen und über ihre Erscheinungsform hinaus begreifbar zu machen.

 

Bei Interesse kann ein PDF der vollständigen Arbeit über Contact angefordert werden.

Zitationsvorschlag:
Fleischer, Johanna (2016): Der Mann im Anzug. Ein blinder Fleck der Modetheorie. Bachelorarbeit, betreut durch Prof. Martina Löw, TU Berlin. http://www.fashionresearch.de